Kapitel 2
#zwei
Während dem Essen machten einige Erzieherinnen Kontrollgänge durch die einzelnen Räume, um zu sehen, ob auch wirklich alle da waren, was heute nicht der Fall war – und genau deshalb musste ich mich beeilen und möglichst unauffällig verhalten.
Ich holte meinen Rucksack aus dem Schrank und kramte die nötigen Dinge hervor. Unter anderem Geld, Klamotten, mein Smartphone, eine Zahnbürste und nicht zu vergessen eine Flasche mit Wasser. Mehr passte sowieso nicht hinein, aber das war mir egal. Mit einem Koffer konnte ich schlecht aus einem Fenster klettern.
Unser Zimmer befand sich im ersten Stock und zu meinem Glück stand genau davor die alte Eiche, auf die Jaden und ich als Kinder immer geklettert waren.
Bevor ich losging, konnte ich noch schnell einen Blick in den Spiegel erhaschen, der neben dem Schrank hing. Meine blonden Haare waren gewellt und wirkten zottelig und matt. Früher hatte ich sie immer braun getönt, weil sie so einfach besser aussahen, aber dadurch waren sie immer trockener geworden. Mit einem Lipstick fuhr ich mir kurz über die trockenen Lippen und steckte ihn danach auch in den Rucksack. Meine Haut war blass, und die Farbe meiner Augen war wie immer undefinierbar. Ich seufzte und öffnete das Fenster.
»Lucina, was hast du dir da nur vorgenommen? Das kannst du nicht machen, das wird Ärger geben! Und wie willst du dort draußen überhaupt überleben?«
Wie immer meldete sich meine Stimme der Vernunft und wollte mich wieder einmal dazu bringen, das moralischRichtige zu tun, anstatt meinem Herzen zu folgen. Doch ich hatte gelernt, sie zu ignorieren.
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und blendete mich ein wenig. Das Wetter war schön – die Sonne schien, die Vögel zwitscherten, und es war kaum eine Wolke am Himmel zu sehen ; Kurz gesagt – es war der perfekte Tag um abzuhauen.
Ich kletterte vom Fensterbrett auf einen Ast des Baumes, der fast bis an unser Zimmer ragte. So hangelte ich mich auch über die restlichen Äste, bis ich schließlich am Boden angekommen war.
Puh, der wichtigste Teil war geschafft – rauskommen.
Jetzt musste ich nur noch eine Richtung finden, in die ich gehen wollte und das schnell!
Die Essensräume befanden sich auf der anderen Seite des Heims, sodass mich niemand sehen konnte. Trotzdem musste ich schnell außer Reichweite kommen, da sie mit Sicherheit nach mir suchen würden.
Ich beschloss in Richtung Wald zu gehen, schließlich begannen auch meine Träume dort. Vielleicht gab es den Wasserfall ja wirklich. Und wenn nicht, was würde das schon machen?